Fachsupervision gemäß Enaktiver Traumatherapie nach dem Konzept der traumabezogenen strukturellen Dissoziation der Persönlichkeit

Traumabezogene dissoziative Störungen weisen ein breites Spektrum an möglichen Symptomkomplexen und Schweregraden auf. Psychotherapeutisch Tätige und psychosoziale Fachkräfte werden bei der Behandlung und Begleitung von Menschen mit komplexen traumabezogenen dissoziativen Störungen und insbesondere mit Dissoziativer Identitätsstörung vor besondere Herausforderungen gestellt. Es können Fragen oder Irritationen im Umgang mit PatientInnen bzw. KlientInnen auftauchen, die Symptomatiken aufweisen, die oft nur schwer einzuordnen sind und die nicht auf ansonsten bewährte psychotherapeutische Methoden ansprechen.
TherapeutInnen und Angehörige psychosozialer Hilfesysteme brauchen für die Behandlung und Begleitung von Menschen mit komplexen Traumafolgestörungen störungsspezifisches Fachwissen und Kenntnisse über zeitgemäße traumatherapeutische Behandlungskonzepte. Dies gilt auch für die Arbeit in der Supervision.

Die Fachsupervision erfolgt auf Grundlage der Enaktiven Traumatherapie, basierend auf dem Konzept der traumabezogenen strukturellen Dissoziation der Persönlichkeit. Das Konzept der traumabezogenen strukturellen Dissoziation der Persönlichkeit (Janet, 1904; van der Hart, Nijenhuis, Steele, 2006) beschreibt eine Dreiteilung (primär, sekundär, tertiär), der traumabezogene Störungen ihrem Schweregrad entsprechend zugeordnet werden.
Bei der primären traumabezogenen strukturellen Dissoziation kommt es zu einer dissoziativen Aufteilung der Persönlichkeit in einen anscheinend normalen Persönlichkeitsanteil (ANP) und einen emotionalen Persönlichkeitsanteil (EP). Aufgrund von primärer traumabezogener dissoziativer Dissoziation enstehen Traumafolgestörungen wie z.B. die einfache Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS).
Bei der sekundären traumabezogenen strukturellen Dissoziation teilt sich die Persönlichkeit in einen ANP und mindestens zwei EPs auf. Der sekundären traumabezogenen strukturellen Dissoziation werden verschiedene psychische Störungen mit unterschiedlichen Erscheinungsformen und Schweregraden zugerechnet, z.B. komplexe Posttraumatische Belastungsstörung (kPTBS), komplexe Somatisierungsstörung, u.a., bis hin zur partiellen Dissoziativen Identitätsstörung (pDIS).
Die (vollständige) Dissoziative Identitätsstörung (DIS) entspricht der tertiären traumabezogenen strukturellen Dissoziation. Nach dem Konzept der traumabezogenen strukturellen Dissoziation der Persönlichkeit ist die Dissoziative Identitätsstörung eine Traumafolgestörung, bei der aufgrund (früh-)kindlicher und andauernder extremer Gewalt- und Bindungstraumatisierungen eine intrapsychische Struktur mit dissoziativer Aufteilung der Persönlichkeit in mehrere Persönlichkeitsanteile mit jeweils eigenem Ich-Erleben und individuellen psychophysiologischen Fähigkeiten entsteht. Das dissoziative innere System von PatientInnen mit Dissoziativer Identitätsstörung kann in einige Dutzend bis hin zu mehreren hundert Persönlichkeitsanteilen mit erkennbar eigenen Mustern von Identitätsempfinden, Reifegrad, Gedächtnis, Wahrnehmung, Affekten, kognitiven und motorischen Fähigkeiten, psychophysiologischen Reaktions- und Handlungsmustern fragmentiert sein.
Die Definition der Dissoziativen Identitätsstörung nach IDC-11 (6B64) beschreibt: „Mindestens zwei unterschiedliche Persönlichkeitszustände übernehmen wiederholt die exekutive Kontrolle über Bewusstsein und Handeln des Individuums in den Interaktionen mit anderen und der Umwelt, beispielweise in der Erfüllung bestimmter Aspekte des Alltags […] und als Reaktion auf bestimmte Situationen“

Die Enaktive Traumatherapie wurde von Ellert Nijenhuis, PhD. auf Grundlage des Konzepts der traumabezogenen strukturellen Dissoziation der Persönlichkeit entwickelt. Enaktive Traumatherapie integriert Konzepte und Forschungsergebnisse aus den Bereichen Philosophie, Psychologie, Biologie, Hirnforschung, Neuropsychologie, Psychotraumatologie, Bindungs- und Lerntheorie, sensomotorische Psychotherapie und andere enaktive Ansätze, wie z.B. körperorientierte Gestalttherapie.
Enaktive Traumatherapie geht davon aus, dass Organismen verkörpert (embodied) und in ihre Umwelt eingebettet (embedded) sind. Menschen als Organismus-Umwelt-Systeme sind zielorientierte, affektive Wesen, die bestrebt sind, ihre Existenz zu erhalten und Dinge zu verstehen. Körper, Seele und Geist nehmen beständig wechselseitigen Bezug aufeinander sowie auf die Umwelt. Der Begriff „enaktiv“ bedeutet handlungsbezogen. Durch eigenes Handeln und Interaktion miteinander erschließen Lebewesen sich selbst und ihre Umwelt und erleben sich als Ich-als-Teil-von-dieser-Welt. Enaktiv bedeutet, dass unsere Erfahrungen und Handlungen nicht nur durch externe Reize beeinflusst werden, sondern auch durch unsere aktive Interaktion mit unserer Umgebung und unserem Körper. Der enaktive Ansatz betont die gegenseitige Beeinflussung von Denken, Fühlen und Handeln durch diese Interaktion.
Traumatisierung ist eine Verletzung dieses Organismus-Umwelt-Systems. Mangelnde Integration gegensätzlicher intrapsychischer Bedürfnisse (Verlangen und Streben) führt zu einem (unbewussten) permanenten inneren (Überlebens-)Kampf. Während einige Persönlichkeitsanteile sich sehr anstrengen, ein ganz normales Leben zu leben, erstarren andere Persönlichkeitsanteile in Angst oder wollen vor allem fliehen, was als bedrohlich empfunden wird, während gleichzeitig wiederum andere Persönlichkeitsanteile darum kämpfen, die Integrität des Körpers zu verteidigen. Enaktive Traumatherapie versteht diese Trauma-Trinität (Nijenhuis) als verschiedene, unverbundene, aber zusammengehörige Seiten einer Gesamtheit.

Fachsupervision
gemäß Enaktiver Traumatherapie

Fachsupervision auf Grundlage der Enaktiven Traumatherapie nutzt das Konzept der traumabezogenen strukturellen Dissoziation der Persönlichkeit als Erklärungsmodell für intrapsychische Prozesse bei komplexen traumabezogenen dissoziativen Störungen, durch die Symptomatiken hervorgebracht werden, die als Ersatzhandlungen beschrieben werden. Ersatzhandlungen sind Handlungen, die das Überleben sichern sollen. Dazu gehören psychoforme und somatoforme dissoziative Symptome wie Intrusionen, Flashbacks, Kampf- oder Fluchtreaktionen, Bindungsschrei, Freeze, Submit, u.a.
Bei komplexen traumabezogenen dissoziativen Störungen, insbesondere bei der partiellen und der vollständigen Dissoziativen Identitätsstörung, sind Erinnerungen an traumatisierende Ereignisse genauso fragmentiert in verschiedene Persönlichkeitsanteile dissoziiert, wie unterschiedliche durch äußere oder innere Trigger ausgelöste Ersatzhandlungen, die ausschließlich dem Überleben dienen sollen. Die Handlungstendenzen haben aber unterschiedliche Zielsetzungen. Während einige Persönlichkeitsanteile gelernt hat, dass Flucht die einzige Überlebensmöglichkeit ist, sind anderere Persönlichkeitsanteile überzeugt, nur Kampf bzw. nur Ignoranz sichern das Überleben.
Dadurch entsteht eine innere Dynamik (Trauma-Trinität), die mit üblichen traumatherapeutischen bzw. traumapädagogischen Methoden nicht erreicht werden kann. Arbeitet beispielsweise die TherapeutIn mit der PatientIn daran, selbstschädigende Verhaltensweisen zu reduzieren, reagieren die Persönlichkeitsanteile mit Hoffnung auf Veränderung, die unter den Selbstverletzungen leiden. Gleichzeitig erleben andere Persönlichkeitsanteile diese angestrebten Veränderungen als außerordentlich bedrohlich und intensivieren ihre Ersatzhandlungen, wodurch es zu lebensgefährlichen Verletzungen und Suizidversuchen kommen kann.

In der Fachsupervision soll die SupervisandIn dahingehend unterstützt werden, die dissoziative innere Dynamik ihrer PatientIn besser verstehen zu lernen und neue Handlungsmöglichkeiten zu erlangen, um Menschen zu begegnen, die unter den Folgen von extremer interpersoneller Gewalt leiden und nach mehr innerer Kooperation und Verbundenheit mit sich und der Welt streben.

Information & Terminvereinbarung: Praxis für Gestalttherapie & Traumatherapie, Moon Stegk, Lübeck


zum Weiterlesen:

„Das verfolgte Selbst – Strukturelle Dissoziation. Die Behandlung chronischer Traumatisierung“
Onno van der Hart, Ellert Nijenhuis, Kathy Steele (2006)

“Somatoforme Dissoziation: Phänomene, Messung und theoretische Aspekte”
Ellert Nijenhuis (2006)

„Die Trauma-Trinität: Ignoranz – Fragilität – Kontrolle“
Ellert Nijenhuis (2016)

„Traumabedingte Dissoziation bewältigen – Ein Skills-Training für Klienten und ihre Therapeuten“
Suzette Boon, Kathy Steele, Onno van der Hart (2013)


 

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