Ein Kabinettsentwurf (26.09.18) zum Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) wurde gegenüber des Referentenentwurfs mit einem Zusatz zum § 92 Abs. 6a SGB V verabschiedet. (Links s.u.)
Psychotherapeutinnen mit Kassenzulassung laufen nun Sturm gegen den kurzfristig eingebrachten Zusatz.
Das „Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung“, ein Projekt des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn, soll für eine schnellere Terminvergabe für gesetzlich Versicherte und die Verbesserung der Versorgung in ländlichen Regionen sorgen. Der Zusatz zum § 92 Abs.6a SGB V sieht eine „gestufte Steuerung“ von hilfesuchenden psychisch kranken Menschen vor.
Der Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten (bvvp) schreibt in seiner Stellungnahme (23.10.18) zum Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung (Terminservice- und Versorgungsgesetz – TSVG):
„Diese Gesetzesneuregelung im § 92, Absatz 6 a wird von Seiten des bvvp als unsachgemäß bzw. überflüssig abgelehnt, weil eine verbesserte Steuerung bereits über die Einführung der Sprechstunden und Akutbehandlung in die Psychotherapie-Richtlinie zum 01.04.2017 gestaltet worden ist. Diese zusätzliche Ergänzung wird sogar als schädlich erachtet und als wenig durchdacht beanstandet. Sie wird für psychisch kranke Menschen den Weg zu einer fachgerechten Behandlung im Rahmen einer Psychotherapie erschweren.
Mit der beabsichtigten Neuregelung wird allen psychotherapeutisch Behandelnden – Psychologischen Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und Ärzten – die Entscheidung
‚besonders qualifizierter‘ Behandler vorgeschaltet. Damit wird einerseits Psychotherapeuten unterstellt, dass sie Psychotherapien nicht lege artis und fachlich korrekt indizieren.
[…]
Andererseits soll nun mit einer Art Triage ein neues Nadelöhr im Zugang zur Psychotherapie oder je nach Differentialindikation anders gearteten Weiterbehandlung, eine Rationierung von Behandlungsleistungen initiiert werden.
[…]
Für hilfesuchende Patienten bedeutet die vorgesehene Regelung, dass sie sich erst einem Screening unterziehen sollen, ehe sie zu einem ‚erlaubten‘ Behandler dürfen. Das hebelt erstmalig den freien Arztzugang/Zugang zum Psychotherapeuten aus. Ausgerechnet für Menschen, die sich ohnehin schwerer tun, über ihre Störungen und oft enorme seelischen Belastungen zu sprechen, wird eine Stufung des Behandlungsweges eingeführt. Dies muss umso befremdlicher wirken, als im gleichen Gesetz Patienten, die einen somatischen Arzt aufsuchen wollen, ein ungefilterter, fast schwellen loser Zugang über die Terminservicestellen geebnet wird. Eine solche verordnete Voruntersuchung für psychisch Kranke zwingt die betroffenen Patienten, sich jemandem offenbaren zu müssen, den sie sich nicht nach Vertrauen und Passung gewählt haben und der sie auch in der Regel nicht weiterbehandeln wird.
Vor die Wahl gestellt zu sein, entweder auch schambesetzte Inhalte preisgeben zu müssen, um zu einem Psychotherapeuten vorgelassen zu werden, oder durch Zurückhaltung Gefahr zu laufen, keine Indikation zur Psychotherapie zu erhalten, stellt eine keiner anderen Patientengruppe aufgebürdete Zumutung dar und ist schlicht diskriminierend. Außerdem ist zu erwarten, dass die angedachte vorgeschaltete Instanz in vielen Fällen zu keiner verlässlichen Indikation kommt. Denn bei vielen Betroffenen kann die ganze Schwere des Störungshintergrundes (z.B. Missbrauch, Misshandlungen, Demütigungen, tiefe Selbstzweifel, Schuldgefühle etc.) oft erst im Laufe einer auf Vertrauen aufbauenden Probatorik oder sogar erst im Verlauf einer Psychotherapie voll erfasst werden.
Wenn künftig, wie im § 92 Abs 6a SGB V vorgesehen, psychisch kranke Menschen sich erst einmal einem vermittelnden oder zuweisenden Behandler gegenüber öffnen müssen, um dann von dort in die ‚richtige‘ gestufte Versorgung eingeschleust zu werden, kommt das einem Hürdenlauf gleich. Der bvvp sieht darin eine klare Verschlechterung der gegenwärtigen Versorgungssituation.“
In der gemeinsamen Petition von Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten (bvvp), Deutsche Psychotherapeutenvereinigung (DPtV) und Vereinigung Analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten in Deutschland (VAKJP) „Ablehnung des Gesetzentwurfs zum Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) vom 25.10.2018“ heißt es:
„Die beabsichtigte Neuregelung kann nur als der ungerechtfertigte Versuch einer Rationierung von Behandlungsleistungen aufgefasst werden. Bei noch unzureichender Bedarfsdeckung soll offensichtlich die Versorgung durch Priorisierung und Behandlungseinschränkungen ‚fürsorglich eingehegt‘ werden. Das wäre ein folgenschwerer Eingriff in die Versorgungsstruktur psychisch kranker Menschen.
Wir fordern die Bundestagsabgeordneten und Gesundheitspolitiker aller Parteien auf, dafür Sorge zu tragen, dass der Zusatz zum § 92 (6a) im TSVG ersatzlos gestrichen wird.“
In der Petition werden 7 Gründe zur Streichung des im Gesetz vorgesehenen Entwurfs zum § 92 Abs. 6a genannt:
1. Dieses Gesetzesvorhaben diskriminiert im Entwurf zum § 92 eine ganze Patientengruppe. Den psychisch kranken Patientinnen und Patienten wird damit aufgebürdet, oftmals enorme, hoch schambesetzte seelische Belastungen gegenüber Behandlern darzustellen, die sie danach in der Regel nicht wiedersehen werden und die sie nicht selbst nach Vertrauensgesichtspunkten gewählt haben.
2. Psychisch Kranken wird ein Hürdenlauf zugemutet, der sie unnötig belastet und gegenüber anderen Patientengruppen benachteiligt. Es entsteht ein neues Nadelöhr vor der eigentlichen Behandlung.
3. Mit der Reform der Psychotherapie-Richtlinie 2017 sind neue Strukturen eingeführt worden, deren Auswirkungen zunächst erfasst und evaluiert werden müssten, bevor über neue Eingriffe entschieden werden kann.
4. Der Entwurf zum § 92 diskriminiert darüber hinaus auch die psychotherapeutisch tätigen Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten, die aufgrund ihrer Fachkunde und Zulassung alle über die Qualifikation zur Diagnostik, Indikationsstellung und Behandlungsplanung verfügen.
5. In einer Studie einer Krankenkasse wurde nachgewiesen, dass Psychotherapeuten korrekte Behandlungsindikationen stellen.
6. Mehrere unabhängige Versorgungsstudien belegen, dass in Deutschland mit gutem Erfolg und zur hohen Zufriedenheit der Patienten behandelt wird und die Behandelten zuvor nachweislich erheblich psychisch belastet waren.
7. Das geplante Vorgehen bindet völlig unnötig die Ressourcen von Ärzten und Psychotherapeuten, die damit der eigentlichen psychotherapeutischen Behandlung entzogen werden.
Der Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten (bvvp) positioniert sich klar für eine ersatzlose Streichung des vorgesehenen Zusatz im § 92 Abs. 6a SGB V.
In Pressemitteilungen und einem offenen Brief an den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn macht der bvvp deutlich: „Es darf keine „vorgeschaltete Instanz“ geben, die Patienten den Kontakt mit einem niedergelassenen Psychotherapeuten erst erlauben muss!“
zum Weiterlesen:
Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten (bvvp)
Deutsche Psychotherapeutenvereinigung (DPtV)
Vereinigung Analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten in Deutschland (VAKJP)
Offener Brief an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (bvvp)
Stellungnahme zum Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung (Terminservice- und Versorgungsgesetz – TSVG) (bvvp)